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Bisphenol A: Risiken für das Hormonsystem
Bisphenol A (BPA) wird seit etwa 40 Jahren im großtechnischen Maßstab hergestellt. Dabei wird es z. B. bei Zahnfüllungen und Thermopapier in seiner Grundform benutzt, wogegen es viele weitere Anwendungen gibt, die auf vernetztem BPA/Polycarbonat beruhen: CDs, Armaturen und Plastikteile im Auto, Haushaltsgegenstände, transparente Babyplastikflaschen, Nahrungs- und Getränkeverpackungen. Auch Epoxidharze, Kleber und viele Do-it-yourself-Produkte enthalten BPA, Nahrungsmittel- und Getränkedosen werden in der Regel innen mit einem BPA-haltigem Epoxidharz überzogen. In den seltensten Fällen werden die Verbraucher auf den Inhaltsstoff aufmerksam gemacht.
Der jährliche Verbrauch von BPA in der EU wird auf über 640.000 t pro Jahr geschätzt. Im Jahr 1999 produzierte BAYER allein 300.000 t, der Leverkusener Multi ist damit unangefochtener Weltmarktführer.
Doch der Stoff kommt zunehmend in Verruf: Er soll wie ein künstliches Hormon und somit fruchtschädigend wirken. "Der Verdacht ist fast 30 Jahre alt", sagt der Toxikologe Professor Ibrahim Chahoud, der mit seinem Team seit vier Jahren am Berliner Benjamin Franklin Medical Center Forschungen zu Bisphenol A betreibt. Ihre jüngste Studie, in der Novemberausgabe der Fachzeitschrift Environment Health Perspectives nachzulesen, betrachtet 37 Paare und die Plazenta ihrer Neugeborenen - und kommt zu dem Schluss, dass Bisphenol A (BPA) eine Gefahr darstellen könnte.
"Wie für alle hormonähnlich wirkenden Stoffe gilt hier der so genannte low dose effect", so Chahoud: Gerade bei geringer Dosierung, wie sie im Alltag vorkommt, befürchtet man Auswirkungen wie etwa seltene Krebsarten an den primären Geschlechtsteilen der Nachkommen.
Hersteller wie die Bayer AG warten mit eigenen Studien auf - laut denen ist ihr Tun ungefährlich. So beruft sich Bayer auf "internationale Richtlinien", die allerdings den low dose effect noch nicht ausreichend berücksichtigen. Aber auch Nestle sieht derzeit keinen Grund, BPA zu meiden. Dabei vertreibt die Firma Getränke en gros in den hier avisierten Plastikflaschen. Bei der Deutschen Gesellschaft für Kunststoff-Recycling war BPA auf Nachfrage nicht einmal bekannt - geschweige denn als Gefahrenquelle im Visier. In Brüssel ist man offenbar weiter: Inoffiziell gibt es dort schon eine Diskussion um ein BPA-Verbot.
Bis 1981 gab es kein gesetzliches Limit für die Verwendung von BPA, obwohl bereits bekannt war, dass es leicht in Lösung geht, z.B. bei mechanischer Reinigung oder Erhitzen. Als Folge ist BPA im Klärschlamm, auf bewirtschafteten Feldern, in Recyclingpapier, in Gewässersedimenten und in Wildtieren gefunden worden - um so erstaunlicher, als BPA eine kurze Halbwertszeit hat und normalerweise innerhalb weniger Tage in der Umwelt abgebaut wird.
Um dieses Gefahrenpotential auszuloten, wurden 1981 im US National Toxicology Program die ersten und einzigen Langzeit-Fütterungsstudien (wie bei Arzneiprüfungen) durchgeführt. Dabei wurde ausschließlich die akute Giftigkeit von BPA untersucht. Die tolerable tägliche orale Aufnahme wurde daraufhin auf 50 Milligramm pro kg Körpergewicht festgesetzt. Wie bei Arzneiprüfungen üblich wurde dieser Wert zur Sicherheit durch 1000 geteilt. Dies ergab einen Grenzwert von 50 Mikrogramm pro kg Körpergewicht pro Tag, der heute auch in der EU gesetzlich festgelegt ist.
Erste konkrete Messungen zu BPA wurden in den neunziger Jahren durchgeführt. In Lösung lagen die Konzentrationen häufig in Bereichen oberhalb des gesetzlichen Limits, in Babyflaschen stiegen die Werte kontinuierlich mit der Alterung der Flaschen. Im Plazentagewebe des Menschen wurden z. B. Konzentrationen von 3-100 Mikrogramm pro kg, in Fischen, Muscheln, Schnecken, Amphibien, Möweneiern und Wildtieren von unter 10 Mikrogramm pro kg gefunden.
Bis in jüngste Zeit wurde jedoch völlig ignoriert, dass 1938 - bereits 5 Jahre nach der Entdeckung der weiblichen Geschlechtshormone - östrogenähnliche Wirkungen des BPA entdeckt wurden. Hormone sind Stoffe, die von Drüsen nach innen (endokrin) abgegeben werden und Steuerungsfunktionen haben. Die Östrogene gehören dabei zu den wichtigsten: zum Beispiel können sie in der Schwangerschaft den gesamten Organismus der Mutter zum Wohle des Kindes "umprogrammieren".
Der WWF legte erstmals eine umfassende Studie ("Bisphenol A: a known endocrine disruptor") vor, in der das drohende Risiko ausführlich dokumentiert wurde. Danach ging alles sehr schnell. Die Industrie verwies auf entsprechende eigene Experimente, die fast keine Effekte zeigten oder eine andere Interpretation nahe legten.
Dadurch entstand eine Pattsituation: Die Gefährlichkeit des BPA wurde wissenschaftlich nicht anerkannt, die Harmlosigkeit aber ebenfalls nicht bewiesen. Eine vom Umweltbundesamt veranstaltete Tagung im November 2000 konnte dieses Dilemma ebenfalls nicht lösen. Wissenschaftler berichteten, dass sogar Föten im Mutterleib betroffen sind, da sich in der Plazenta bis zum 100 Mikrogramm BPA pro kg fänden. Der Vertreter der Industrie, Professor Herwig Hulpke von der BAYER AG, vertrat als einziger die Meinung, dass die chemische Industrie vorerst keine Konsequenzen bei Herstellung von Produkten mit BPA ziehen müsste; dies sei erst erforderlich, wenn die Gefährlichkeit von BPA eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen wäre. Tilo Maack, Chemie-Experte bei GREENPEACE, forderte hingegen ein rigoroses Verbot aller hormonell aktiver Substanzen: "Da die Wirkungen bekannt, die Folgen jedoch schwer abzuschätzen sind, müssen diese Stoffe vom Markt genommen werden."
Nach Meinung von GREENPEACE könne es nicht angehen, dass der Industrie immer erst bewiesen werden müsse, dass gewisse Substanzen giftig sind. Vielmehr solle man doch von der Industrie verlangen, ihrerseits die Ungefährlichkeit ihrer Produkte nachzuweisen.
Das bedeutet, dass mit Hochdruck die bisherigen Experimente wiederholt und neue Experimente durchgeführt werden müssen, obwohl dies zusätzliche Geldmittel erfordert. Zwischenzeitlich wäre es wünschenswert, dass sich die Politik, ob des Risikos, zu einer Senkung der Grenzwerte und einer umfassenden Deklarationspflicht entschlösse. Damit könnte bei der Industrie die Bereitschaft zu einer Reduzierung der Verwendung und zu einer Suche nach ungefährlichen Ersatzstoffen gefördert werden.
(Quelle: Environmental Health Perspectives 110 (11): 703-707(2002), taz, 4.12.02; Coordination gegen Bayer Gefahren 4.12.02)

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